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Wir Internet-Girls von Berlin

Was sind das für die Mädchen, die im weltweiten Computer-Netz zur Schau stellen, wie sie leben?

Von KATRIN JÄGER


claudicam.jpg
Foto links: Claudia in Siegerpose
Foto rechts: Claudia zeigt Bauch, mehr gibt's nicht zu sehen

Einmal bekam sie die E-Mail eines norwegischen Sargschreiners, der in Holland lebt und deutsch lernen wollte. Christina, 34, gibt ihm jetzt Unterricht. Übers Internet. Und der Sargschreiner weiß sogar wie seine Lehrerin aussieht. Denn Christina ist ein Camgirl.


Christina an ihrem Computer

Jeden Abend ab 19 Uhr kann jeder, der einen Internetanschluss hat, zuschauen, wie Christina ganz normale Dinge tut. Eine Digitalkamera (Cam) überträgt alle 60 Sekunden ein neues Bild: Christina beim Fernsehen, Christina beim Abwaschen, Christina beim Nichtstun. Und "wenn ich mir in der Nase bohre, dann kann man das eben auch sehen", sagt die Düsseldorferin. Sie sei extrovertiert, vielleicht habe sie deshalb keine Probleme mit dem Beobachtet werden. Vielleicht gefällt ihr auch einfach die Vorstellung, dass sie mit einem Schlag Millionen Menschen kennenlernen könnte, weltweit und rein theoretisch natürlich.

Aber Christina hat auch ihre Grenzen: Ihr Schlafzimmer ist tabu und nackt gibt es sie auch nie. Verwirrend für einige Internet-Nutzer, denn sie glauben hinter den Camgirl-Adressen Erotisches zu finden. Es gibt nämlich auch Girls, die mit freizügigen Bildern Geld verdienen. Für Christina und ihre Kolleginnen ist das ganze aber nur harmloses Hobby, Spaß - ein teurer allerdings: Christina hatte schon Telefonrechnungen um 1500 Mark, 200 bis 300 Mark sind normal, eine Digitalkamera bekommt man für 100 Mark. Mit der Vermietung von Werbebannern, die dann auf der Internetseite installiert immer wieder aufblinken, kann man nur einen geringen Teil der Ausgaben wieder reinholen.

Wieviele Frauen ihr Geld in ihren Cam-Auftritt stecken, weiß keiner so genau. Wahrscheinlich sind es in Deutschland 10 bis 15, zählen kann man sie nicht, denn immer wieder steigen Mädchen aus. Andere fangen an, weil sie fasziniert sind, von der Vorstellung eine eigene Seite zu haben, einmal "Master" sein, wie Christina es nennt.


Christina aus Düsseldorf

Claudia, 28, aus Berlin ist seit knapp einem Monat dabei, sitzt täglich drei Stunden am Computer. "Vor fünf Wochen", sagt sie. "hatte ich noch keine große Ahnung". Mit einem Buch hat sie die Programmiersprach HTML gelernt, ihre eigenen Seiten entworfen, ihr Freund hilft ihr bei den technischen Geräten. Jetzt sehen die Besucher, die auf ihre Seite klicken, eine selbstbewußte Claudia in Siegerpose am Strand. Ein Urlaubsfoto, das sie auf ihre erste Seite gestellt hat. Darunter die Frage: "...neugierig?" Wer es ist, kann weiterblättern. Zu sehen gibt es dann noch mehr Urlaubsbilder, Fotos von Claudias Katzen, von Claudia als Kleinkind und die aktuellen Bilder, die die Cam aufzeichnet. Dazu schreibt sie Tagebuch und erklärt ihre Lieblingsbücher (Romane - je dicker, desto besser), Lieblingsfilme (alles, bis auf Horrorfilme) und ihre Lieblingsmusik (Tschaikowski, Paganini, Beethoven, Verdi...). Und ein ganz kleines bisschen Erotik gibt es dann doch noch. Sie verrät dass sie fast mehr Dessous als normale Kleidung besitzt, dann ist aber Schluss mit sexy Details.

Die Idee, sich selbst ins Internet zu stellen, kam Claudia als sie die Seiten von Sabine, 27, gesehen hat. Unter "www.binecam.de" hatte sie die blonde Berlinerin ganz zufällig entdeckt, die zusammen mit ihrem Freund ab 21 Uhr online ist. Übers Internet haben sie gechattet, die Mädchen fanden sich symphatisch, aus den E-Mails wurde so etwas wie Freundschaft. Vorgestern waren die beiden noch zusammen essen.


Sabine, aufgenommen von der Cam

Doch auch wenn sich nicht alle Camgirls im echten Leben treffen, durch das Internet kennen und beobachten sie sich genau. Und natürlich wird ein bisschen neidisch auf die Kolleginnen geschaut, deren Besucherzahlen besser sind, die mehr E-Mails bekommen, deren Einträge ins Gästebuch sich häufen. Denn das ist es, was den Mädels offensichtlich am meisten Spaß macht. Claudia: "Es ist total spannend sich zu überlegen, was für Leute das sind, die auf meine Seite gestoßen sind." 400 bis 500 mal am Tag logt sich jemand bei "www.claudicam.de" ein. "Am ersten Abend waren es nur 23." Jetzt hat sie Besucher aus 36 Ländern.

Mittags, so hat es Sabine beobachtet, kommen die meisten Besucher. "Die Pausen-Chatter", sagt sie. Und Christina findet es einfach "toll" Mails aus Kanada, Südamerika und der ganzen Welt zu bekommen. "Letztens haben wir uns zum Campen getroffen, virtuell. Und jeder hat was mitgebracht." Manchmal schreiben ihr Unbekannte Gedichte ins Gästebuch.

Dass sie sich beim Chatten mit der Kamera filmen lässt, findet sie einfach nur ehrlich. "Ich zeige die Realität", sagt sie. Und: "Cams sind das Stück Leben im toten Internet."

(Die Adressen der Camgirls dieses Artikels: "www.binecam.de", "www.claudicam.de" und "www.christinacam.de". Auf den Seiten gibt es Links zu weiteren Camgirls.)


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Seite zuletzt bearbeitet: 23.10.1999, 20:31 Uhr